Die Schweizer Brüder: Eine täuferische Untergrundkirche im 16. Jahrhundert

In der Forschung herrscht bislang die Auffassung vor, dass es sich bei den „Schweizer Brüdern“ um einen seit 1525/27 in der Schweiz entstandenen Typus separatistisch-pazifistischer Täufergemeinden gehandelt habe, der sich über das Gebiet der Eidgenossenschaft hinaus auch in andere Regionen verbreitete. Diese Sicht wird in einem dreiteiligen Untersuchung einer grundsätzlichen Kritik unterzogen.

Im 2021 abgeschlossenen ersten Teil des Projekts werden 141 Dokumente aus dem Zeitraum von den 1530er Jahren bis zum Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges analysiert und kontextualisiert. Zwar ist diese Quellenbasis relativ schmal und lässt viele Fragen offen, so dass nur eine „Geschichte in Fragmenten“ sichtbar wird. Hinreichend deutlich wird aber, dass der Name „Schweizer Brüder“ offenbar in Mähren entstand und zunächst eine Gemeinde täuferischer Glaubensflüchtlinge aus verschiedenen Regionen des oberdeutschen Sprachraums bezeichnete, deren Prediger aus der Schweiz stammte.

Ab 1538/39 belegen zahlreiche Quellenzeugnisse, dass die mährischen Schweizer Brüder mit Täufergemeinden in Württemberg und der Pfalz in kirchlicher Gemeinschaft standen. Ab 1555 schlossen sich geheime Täufergemeinden im niederrheinischen Raum den Schweizer Brüdern an. Seit 1591 strebten die Schweizer Brüder Kirchenunionen mit täuferischen Gemeindenetzwerken im Niederdeutschen und niederländischen Raum an.

Das konfessionelle Netzwerk der Schweizer Brüder verband Gruppen und Einzelpersonen unterschiedlicher theologischer Prägung zu einer synodal verfassten täuferischen Kirche, die im Verborgenen eine Ausdehnung von der Schweiz bis an die Nordsee und vom Elsass bis in die heutige Slowakei erreichte. Die Ergebnisse der Untersuchung werfen ein völlig neues Licht auf die Entwicklung des Täufertums im 16. und frühen 17. Jahrhundert.

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Martin Rothkegel:

The Swiss Brethren: A Story in Fragments

The Trans-Territorial Expansion of a Clandestine Anabaptist Church, 1538-1618.

With a Preface by James M. Stayer.

Bibliotheca dissidentium, scripta et studia 9

Baden-Baden: Éditions Valentin Koerner, 2021.

248 pages. 3 maps.

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Der zweite Teil der Untersuchung, „Ministers and Structures of a Clandestine Anabaptist Church“, wird den Befund durch eine prosopographische Analyse des Prediger- und Ältestenstandes der Schweizer Brüder und eine Untersuchung der Struktur und Funktionsweise der Gemeinden, regionalen Konferenzen und gesamtkirchlichen Synoden präzisieren.

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Der dritte Teil, „Texts, Traditions, and Religious Practices of a Clandestine Anabaptist Church“ wird Texte analysieren, die von Schweizer Brüdern verfasst, publiziert oder überliefert wurden. Neben Verfasserschaft, Überlieferungsgeschichte und theologischem Gehalt des Schrifttums der Schweizer Brüder werden dabei gruppenspezifische religiöse Praktiken in den Blick genommen.

Glauben, Denken, Handeln