100 Jahre Weimarer Reichsverfassung

Symposium zum Verhältnis von Staat und Kirche

Darf der Staat einer kirchlichen Institution vorschreiben, eine Mitarbeiterin ohne Kirchenmitgliedschaft einzustellen? Und wie weit reicht das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen? Diese und weitere Fragen diskutierten die Teilnehmenden am 25. und 26. Oktober bei einem Symposium.

Anlässlich des 100-jährigen Jubiläums der Weimarer Reichsverfassung luden die Theologische Hochschule Elstal und die Evangelisch-Freikirchliche Akademie Elstal ein, baptistische Perspektiven auf das Verhältnis von Staat und Kirche zu zu sichten und zu diskutieren. Dabei wurde nicht nur gezeigt, wie die damaligen Kirchenartikel der Weimarer Verfassung zustande kamen, sondern auch an einem aktuellen Beispiel verdeutlicht, dass das Verhältnis von Staat und Kirche in der Bundesrepublik Deutschland weiterentwickelt werden muss.

Die Weimarer Reichverfassung stellte eine große Zäsur da: Als demokratische Verfassung gewährleistete sie nicht nur die Gewaltenteilung, die Volkssouveränität und Grundrechte wie die Gleichstellung von Frauen, sondern auch die Trennung von Staat und Kirche. Die Kirchenartikel der Weimarer Reichsverfassung haben Eingang in das deutsche Grundgesetz gefunden und sind nach wie vor gültig. Sie ermöglichen Religionsgemeinschaften, als Körperschaften des öffentlichen Rechts gewisse Sonderrechte auszuüben. Das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen erlaubt es ihnen zum Beispiel, dass für sogenannte verkündigungsnahe Aufgaben in kirchlichen Einrichtungen ausschließlich Personen eingestellt werden, die Mitglied einer bestimmten christlichen Kirche sind.

„In Deutschland haben wir weder eine Staatskirche noch eine völlige Trennung von Staat und Kirche. Vielmehr entspricht das Verhältnis einer wohlwollenden Neutralität des Staates gegenüber den in ihm tätigen Religionsgemeinschaften“, so Dr. Jacob Joussen, Professor für bürgerliches Recht sowie deutsches und europäisches Arbeits- und Sozialrecht an der Universität Bochum. An einem exemplarischen Fall verdeutlichte er ein verstärktes staatliches Engagement in Religionsfragen. Frau E. hatte sich bei einem kirchlichen Werk beworben und wurde abgelehnt. Sie klagte dagegen. Nach mehreren gerichtliche Instanzen erhielt sie 2018 Recht. Die Tätigkeit sei nicht verkündigungsnah und erfordere somit keine Kirchenmitgliedschaft. Einerseits hat in diesem Fall ein staatliches Gericht in das kirchliche Selbstbestimmungsrecht eingegriffen, andererseits fand eine Abwägung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts mit dem Diskriminierungsrecht statt.

„In unserer pluralistischer gewordenen Gesellschaft sind die alten Regelungen des Staats-Kirchen-Rechts einfach nicht mehr zukunftsfähig“, so Prof. Dr. Ralf Dziewas von Theologischen Hochschule Elstal: „Die Mehrheit der Bevölkerung stellt die staatliche Förderung des kirchlichen Lebens mehr und mehr in Frage und der Islam kennt keine den Kirchen vergleichbaren Institutionen. Deshalb müssen in vielen Bereichen neue Konzepte für das Miteinander von Staat, Kirchen, Freikirchen und Religionsgemeinschaften entwickelt werden."

Dr. Erich Geldbach, emeritierter Professor für Ökumene und Konfessionskunde an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Bochum, stellte die Geschichte der Weimarer Reichsverfassung vor und formulierte ebenfalls Anfragen an das deutsche Modell. Dr. Immanuel Baumann stellte in seinem Beitrag detailliert vor, welche Bedeutung die mit der Weimarer Reichsverfassung eingeführte Trennung von Kirche und Staat für die Freikirchen hatte und wie diese auf der einen Seite die neuen Möglichkeiten der Körperschaftsrechte ergriffen, andererseits aber dennoch in einer deutlichen Distanz zum demokratischen Staat verblieben.

Prof. Dr. Uwe Swarat entwickelte in einem großen historisch-theologischen Überblick eine Typologie verschiedener Möglichkeiten zur Bestimmung des Verhältnisses von Kirche und weltlicher Macht. Die Grundtypen sind das Staatskirchentum, die Theokratie und die Trennung von Kirche und Staat. Letztere wurde in Luthers Zwei-Reiche-Lehre theologisch konzipiert und von Täufern und Baptisten schon früh in die Praxis umgesetzt. Die Baptisten unterscheiden sich von den Täufern darin, dass die Täufer politisches Engagement für unchristlich erklärten, die Baptisten dagegen sich auch in weltlichen Bereichen engagierten.

Dr. Oliver Pilnei, der Leiter der Evangelisch-Freikirchlichen Akademie Elstal, stellte baptistische Thesen zum Verhältnis von Staat und Kirche vor, die im Anschluss mit Angelica Dinger, Theologin und Leiterin des Arbeitskreises Christinnen und Christen in der SPD, Jürgen Klute von der Partei DIE LINKE und Clemens Breest von den Grünen diskutiert wurden. Eine These beschreibt beispielsweise die Grenzen staatlichen Handelns zugunsten der Religionsgemeinschaften. So sei es beispielsweise problematisch, wenn der Staat die Religionszugehörigkeit zur Erhebung von Kirchensteuern speichere. Andere Thesen widmen sich zum Beispiel dem Religionsunterricht und der Frage nach der Legitimität von theologischen Fakultäten an staatlichen Hochschulen. Die Thesen, die ein Arbeitskreis im BEFG erarbeitet hat, werden auf Grundlage der Rückmeldungen und Diskussionen weiterentwickelt.

„Als Baptisten- und Brüdergemeinden im BEFG fühlen wir uns verpflichtet, für Religionsfreiheit und die Trennung von Staat und Kirche einzutreten“, erinnerte Generalsekretär Christoph Stiba und verwies auf Julius Köbner, einen Mitbegründer der deutschen Baptisten, der bereits 1848 schrieb: „Wir behaupten nicht nur unsere religiöse Freiheit, sondern wir fordern sie für jeden Menschen, der den Boden des Vaterlandes bewohnt, wir fordern sie in völlig gleichem Maße für alle, seien sie Christen, Juden, Mohammedaner oder was sonst.“ Eine Gestaltung der Trennung von Staat und Kirche, die dem gewachsenen religiösen Pluralismus in unserem Land Rechnung trägt, sei weiter zu bedenken.

 

(Ein Artikel von Jasmin Jäger)

Glauben, Denken, Handeln