"Baptistische Katholizität – was soll das sein?" - Gastvortrag von Prof. Dr. Steven Hammon

Am 29.06 hielt Prof. Dr. Steven R. Harmon, Associate Professor of Historical Theology at Gardner-Webb University School of Divinity, Boiling Springs, North Carolina (USA), einen Vortrag über das ungewöhnliche Thema: “Baptistische Katholizität – was soll das sein? Und warum ist sie für Baptisten und andere Christen wichtig?” Der Vortrag fand auf Englisch statt. Zum besseren Verständnis wurde eine Zusammenfassung auf Deutsch von Uwe Swarat ausgehändigt , die hier im Folgenden wiedergegeben wird:

 

„Katholizität” wird als ein Kennzeichen der Kirche sowohl im Apostolischen als auch im Nizänischen Glaubensbekenntnis genannt und kann auf zweierlei Weise verstanden werden: Zum einen als „quantitative“ Katholizität; damit bezieht sie sich auf die gesamte Kirche, zu der alle Christen gehören (die „universale Kirche“). Zum andern als „qualitative“ Katholizität; damit unterscheidet sie die Kirche, die in Glaube und Praxis völlig katholisch ist, von Ausdrucksformen der Kirche, die hinter der Katholizität zurückbleiben. Baptisten und andere freikirchliche Gemeinschaften neigen dazu, Katholizität im quantitativen Sinne zu bejahen, indem sie zugestehen, dass es nur eine einzige Kirche Jesu Christi gibt und dass zu dieser neben den Baptisten alle Nachfolger Christi in allen christlichen Konfessionen gehören. Aber der qualitativen Dimension von Katholizität hat man nicht immer ausreichend Aufmerksamkeit geschenkt. Im Anschluss an das, was ich zur Katholizität der Kirche und zur Beziehung von Baptisten zu ihr in meinen Büchern Towards Baptist Catholicity: Essays on Tradition and the Baptist Vision (Paternoster, 2006) und Baptist Identity and the Ecumenical Future: Story, Tradition, and the Recovery of Community (Baylor University Press, 2016) geschrieben habe, schlage ich in diesem Vortrag vor, dass sich Baptisten und andere Freikirchen viel entschiedener das qualitative Verständnis von Katholizität zu eigen machen.

Der Vortrag behandelt zuerst die christozentrische Art, in der Ignatius von Antiochien den Begriff „katholische Kirche“ (ἡ καθολικὴ ἐκκλησία; he katholike ekklesia) im ersten Jahrzehnt des 2. Jahrhunderts verwendet – also in größter Nähe zur neutestamentlichen Gemeinde, die für baptistische Lehre und Praxis grundlegend wichtig ist. Im Kontext des Sprachgebrauchs von Ignatius stößt man auf vier Merkmale qualitativer Katholizität (Inkarnations-Christologie, sakramentaler Realismus, sichtbare Einheit und der Dienst der Aufsicht), die man ebenso auch im Neuen Testament wahrnehmen kann.

Anschließend stellt der Vortrag in Bezug auf die Katholizität der Kirche in baptistischer und freikirchlicher Perspektive eine Reihe von aufeinander aufbauenden Thesen auf. Diese Thesen stützen sich zum einen auf ein Verständnis baptistischer und freikirchlicher Identität als Gemeinschaft von Pilgern, die auf der Suche nach der Kirche sind, die vollständig von Christus regiert wird. Diese Kirche ist ein Ideal, dessen Verwirklichung Baptisten und freikirchliche Gemeinschaften bestenfalls eschatologisch verorten, irgendwo in der Zukunft, aber nicht in irgendeiner vergangenen oder gegenwärtigen Gestalt von Kirche. Zum anderen gründen die Thesen auf einer nicht näher entfalteten ekklesiologischen Öffnung in der narrativen Christologie des baptistischen Theologen James Wm. McClendon, Jr. Die Thesen lauten: (1) Die Identität der Kirche ist die Identität Christi. (2) Die Identität der Kirche ist die Identität Christi, die die Erzählung von Christus ist. (3) Die Identität der Kirche ist die Identität Christi, die die Erzählung von Christus ist, die die Erzählung unserer Taufe ist. (4) Die Identität der Kirche ist die Identität Christi, die die Erzählung von Christus ist, die die Erzählung des Dreieinigen Gottes ist. (5) Die Identität der Kirche ist die Identität Christi, die die Erzählung von Christus ist, die die Erzählung unserer Menschheit ist. (6) Die Identität der Kirche ist die Identität Christi, die die Erzählung von Christus ist, die die Erzählung aller Glieder des Leibes Christi ist. (7) Die Identität der Kirche ist die Identität Christi, die die Erzählung von Christus ist, die die Erzählung der eschatologischen Gemeinschaft ist.

Der letzte Teil des Vortrags erklärt, warum es wichtig ist, dass es „baptistische Katholizität“ gibt – wichtig sowohl für Baptisten als auch für andere Christen. Baptisten müssen entschiedener katholisch (im qualitativen Sinn des Wortes) sein, damit wir von der übrigen Kirche diejenigen Ressourcen empfangen, die uns helfen können, treuere Nachfolgegemeinschaften Jesu Christi zu werden. Die Kirche insgesamt braucht Baptisten, die entschiedener katholisch sind: Zum einen, damit sie bei uns die qualitative Katholizität erkennen kann, die unser gemeinsames Erbe und eine gemeinsame Quelle für die Erneuerung der Kirche in der Gegenwart ist, zum andern, damit sie in der baptistischen Tradition die spezifisch baptistischen Gaben wahrnehmen kann, die anderen Gestalten christlicher Gemeinschaft helfen können, im volleren Sinn katholisch zu werden. Der Kirche insgesamt mangelt es derzeit an qualitativer Katholizität – von christlicher Gemeinschaft zu christlicher Gemeinschaft in unterschiedlichem Maß. Aber dieser Mangel an Katholizität lässt sich überwinden, indem die kirchlichen Gaben, die in der geteilten Kirche derzeit überall verstreut sind, wechselseitig voneinander angenommen werden.

 

Glauben, Denken, Handeln