Thementag "Ökumene" mit Siegfried Großmann

Im Rahmen eines Thementages zu „Ökumene“ war heute der Pastor, ehemalige Präsident des BEFG und Mitbegründer des ökumenischen Zentrums Schloss Craheim Siegfried Großmann zu Gast an der Theologischen Hochschule Elstal.

In der Campusandacht hielt Großmann eine Predigt über die neutestamentliche christliche Gemeinschaft. Das Wort werde in unseren Gemeinden oft lapidar verwendet und teilweise mit dem Gottesdienstbesuch gleichgesetzt, dabei meint das griechische Wort „koinonia“ weit mehr, als „im Gottesdienst in Reih und Glied zu sitzen und gemeinsam nach vorne zu schauen“. Koinonia bestehe aus dreierlei Elementen: Nach 1. Kor 1,9 wird koinonia als Teilhabe an Christus betont, in Hebr 13,16 kommt sie als Anteilnahme am Nächsten vor und in Apg 2, 42 als die Gemeinschaft der christlichen Gemeinde. Koinonia müsse daher mehrdimensional als koinonia in Christus, im Nächsten (in der Welt) und in der Ortsgemeinde stattfinden.

Jeder Christ müsse prüfen, ob er diese drei Elemente bei sich in einer Balance sieht, ansonsten ergeben sich unter Umständen Schwierigkeiten: Wer nur die koinonia zu Christus pflegt, der stehe in der Gefahr sich trotz eines fromm aussehenden Lebenswandels zu isolieren und von den Menschen zu entfernen. Wer koinonia nur als Hilfe am Nächsten versteht, der vernachlässigt unter Umständen seine Selbstfürsorge und könne unter Umständen einen Burn-Out erleiden. Wer koinonia nur als reines Zusammensein der Gemeinde sieht, bei dem drohe der Gottesdienst zu einer „Veranstaltungsgemeinschaft“ zu verkommen, bei welcher der Eventcharakter und die Anzahl der Besucher vor dem Inhalt stehe.

Grundlegend für unser Wirken als Christen und als Gemeinde sei es aus der koinonia in Christus die Kraft zu schöpfen in der Welt und in der Gemeinde zu wirken. Koinonia ist dabei immer ein Geben und Nehmen, ein Miteinander des Teilens und Aufnehmens, bei der idealerweise jeder am Ende genug hat.

 

Am Nachmittag vertiefte Großmann das Thema in einem Vortrag über Stand und Möglichkeiten der Ökumene in Deutschland.  Eine umfassende Ökumene aller christlichen Kirchen werde in Zeiten der Säkularisierung und schrumpfender Mitgliederzahlen immer wichtiger, sie sei aber nicht nur pragmatisch zu verstehen, sondern  als ein christliches Gebot und als Wirken des Heiligen Geistes zu begrüßen. Dabei gilt es jedoch zu klären, was mit Ökumene gemeint sei. Großmann tastete sich anhand von drei Schritten an das Thema heran.

  1. Ökumene als Einheit in Dogmatik, Struktur und Leitung
    Gerade nach katholischem und orthodoxem Kirchenverständnis sei eine solche Einheit zu bevorzugen, dabei erläutert Großmann, dass es eine solche Einheit in der Kirchengeschichte nie gegeben habe. Unterschiede und Vielfalt gehören zum Leib Christi dazu. Statt strammer Dogmatik sei ein gemeinsames Glaubensleben gefragt. Dadurch ließen sich inhaltliche Fragen oft überwinden, nicht selten werde im gelebten Miteinander auch das Gemeinsame des Glaubens deutlich.

  2. Ökumene als versöhnte Verschiedenheit
    Bei der versöhnten Verschiedenheit gehe es darum Unterschiede zu akzeptieren und sich dennoch gegenseitig zu akzeptieren. Dies dürfe jedoch nicht in einer friedlichen Koexistenz münden, bei der „jeder für sich“ lebe. Echte Versöhnung bedeute nach Großmann: „Ich muss den Glauben des Anderen glauben.“ Man müsse nicht alles verstehen und dürfe fremde Glaubenspraxen auch kritisch sehen, dennoch gilt es den Glauben des Gegenübers als vollwertig zu akzeptieren und neugierig zuzuhören.

  3. Ökumene als geistliche Ökumene und Teilhabe
    Ökumene solle über die Akzeptanz des Anderen hinaus gehen und den Glauben im Anderen finden wollen, um davon zu profitieren. Ökumene dürfe nicht nur ein dekorativer Nebensektor im Gemeindeleben sein, der zu besonderen Zeiten im Jahr gepflegt wird und nur die offensichtlichen Gemeinsamkeiten betone. Ökumene müsse als koinonia eine lebendige Teilhabe des Gebens und Nehmens bilden. Alle Seiten bringen das ein, was sie ausmacht, und befruchten sich damit gegenseitig. Der Andere wird damit zu einer Notwendigkeit für das eigene Wachstum. Auch wenn dies anfangs befremdlich sei, so lade wahre Ökumene zum Staunen über die vielfältigen Wirkweisen des Heiligen Geistes ein, auch in fremden Strukturen.

Zur Frage nach der Wahrheit sagt Großmann, dass diese nach neutestamentlichem Verständnis zwei Ebenen habe. Zum einen die Ebene der Erkenntnis Gottes, die stets Stückwerk bleibt. Zum anderen die Ebene der Erfahrung der Wirklichkeit Gottes. Auch diese sei Stückwerk, doch in der gemeinsamen Erfahrung der lebendigen Wirklichkeit Gottes sei es möglich dogmatische Fragen anzugehen und dennoch das geistliche Miteinander zu pflegen und den gemeinsamen Glauben zu betonen. Auf dieser Grundlage gelte es sich gegenseitig, auch in dogmatischen Fragen, zu befruchten. Dies erläuterte Großmann anhand dreier großer Fragen der Ökumene.

  • Wer ist Christ?
    Christsein werde laut Großmann durch vier Schritte definiert: Umkehr, Nach- und Umdenken, Taufe und Geistempfang und Zugehörigkeit zu einer christlichen Gemeinde. Als Baptisten gilt es zu betonen, dass Nachfolge stets eine Umkehr voraussetzt und nicht durch eine formale Kirchenzugehörigkeit definiert werde. Andersherum könne der Baptismus von den Volkskirchen lernen, dass es viele Wege zum Glauben gibt und auch die Kindertaufe ein Schritt zur vollständigen Umkehr sein kann. Der Heilige Geist sei sehr großzügig, was die Reihenfolge der vier Schritte zum Christsein anbelangt.
  • Was ist Taufe?
    Diese sei biblisch ein Doppelgeschehen: zum einen eine Heilstat Gottes, zum anderen ein Annehmen des Bundes durch den Menschen. Baptisten dürften nicht müde werden die Glaubenstaufe als vollkommene Taufe zu betonen, darin zeigt sich der Charakter der Taufe als Gottestat und Menschentat am besten. Diese Erkenntnis dürfe jedoch nicht dazu führen die Kindertaufe gänzlich abzulehnen. Viel mehr könne sie als ein Schritt hin zur Glaubenstaufe verstanden werden, der den Glauben als Tat Gottes in besonderer Weise betont.
  • Was ist Kirche?
    Kirche sei nach biblischem Verständnis die Gemeinschaft der Heiligen. Darin sind sämtliche Ämter als Dienste zu verstehen. Episkopale Kirchen betonen eher die Ämterhierarchie, kongregationalistische Kirchen besonders den Dienstcharakter der Ämter von unten her. Hierarchische Kirchen bräuchten die Ergänzung des Dienstes, ohne ihn seien die Herausforderungen der Zukunft für sie nicht lösbar. Doch auch kongregationalistische Kirchen benötigen die Ergänzung durch das Amt, ohne Hierarchie und einen Vertrauensvorsprung zu Gunsten des hauptamtlichen Pastors sei ein konstruktives Gemeindeleben sehr schwierig.

Abschließend fasst Großmann zusammen: „Ökumene ist immer oikonia“, und zwar im dargestellten umfassenden Sinn. Dogmatische Fragen dürften nicht ausgeklammert werden, sollten uns aber nicht hemmen geistliche Gemeinschaft zu pflegen. Statt Abgrenzung und Verurteilung bedürfe es gegenseitiges Vertrauen und die Einsicht, zusammen unterschiedliche Teile des Leibes Christi zu sein. Unter diesen Bedingungen könne aus der Ökumene heraus eine Gemeinschaft des Gebens und Nehmens entstehen, die allen Kirchen gut tue.

Glauben, Denken, Handeln