Vierzig Tage im Kloster: Martin Rothkegel arbeitet im Forschungssemester an der Edition eines historischen Bibelkommentars

Das Institut für Patristische Studien des Ökumenischen Patriarchats im Vlatadon-Kloster in Thessaloniki hat einen guten Ruf bei orthodoxen Theologen. Seit vielen Jahren befindet sich dort auch ein Studentenwohnheim für angehende Priester. Für Freikirchler ist Vlatadon dagegen ein ziemlich ungewöhnlicher Ort. Martin Rothkegel, Professor für Geschichte des Christentums an der Theologischen Hochschule Elstal, verbrachte im März und April 2024 im Rahmen eines Forschungssemesters fast sechs Wochen als Gast der orthodoxen Mönchsgemeinschaft am höchsten Punkt der Altstadt von Thessaloniki. Rothkegel berichtet: „Ich arbeite an der Edition eines historischen Bibelkommentars aus dem Jahr 1529. Dafür muss ich alle bis 1529 gedruckten Auslegungen des Johannesevangeliums von den Kirchenvätern bis zu den Reformatoren durcharbeiten, alles auf Latein oder Griechisch, eine Menge Text. Auf der Suche nach einem wirklich ruhigen Ort kam ich auf das Vlatadon-Kloster. 1992/93 war ich für ein Jahr als Erasmus-Student in Thessaloniki, daher wusste ich von dem Kloster, allerdings kannte ich es bisher nur von außen.“

Rothkegel arbeitet seit mehreren Jahren an kritischen Editionen der Bibelauslegungen des schlesischen Theologen Valentin Krautwald aus den Jahren 1526-1530. Krautwald, ein Gegner der Kindertaufe und des Staatskirchentums, gilt als einer der Hauptvertreter der „radikalen Reformation“. Zugleich war er der erste Gelehrte in Schlesien, der neben Latein auch Griechisch und Hebräisch beherrschte. In intensiver Auseinandersetzung mit den griechischen und lateinischen Kirchenvätern, aber auch mit Erasmus, Luther und Zwingli entwickelte Krautwald eine sehr eigenständige Theologie, die von seinem Vertrauten Caspar Schwenckfeld (1489-1561) vor allem in Süddeutschland verbreitet wurde. Neben dem Täufertum war das „Schwenckfeldertum“ für zwei oder drei Generationen die wichtigste oppositionelle Bewegung der Reformation. Auch John Smyth (1554-1612), der 1609 in Amsterdam die erste Baptistengemeinde begründete, war nachhaltig von Krautwalds Theologie beeinflusst.  

Bei klarem Wetter hat man vom Vlatadon-Kloster aus einen überwältigenden Ausblick auf die Stadt, auf den Thermaischen Golf und auf das gewaltige Bergmassiv des Olymp. Die Klosterpforten werden jeden Abend geschlossen, bevor sich ganze Straßenzüge der Universitätsstadt in eine brodelnde Partymeile verwandeln. Mit der strengen Hausordnung kam Rothkegel gut zurecht: „Eine ruhige Zelle weitab vom Getümmel ist der beste Ort, wenn man sich konzentrieren will. Ich bin dankbar für die Gastfreundschaft und für die Toleranz, mit der ich als Protestant vom Abt und von der Klostergemeinschaft aufgenommen wurde.“ Der erste Band der Bibelauslegungen Valentin Krautwalds, eine Vorlesung über das Matthäusevangelium (1530), erschien 2022. Wenn nichts dazwischenkommt, soll der Band über das Johannesevangelium bis Ende 2024 folgen.

 

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